Das Verhältnis von Staat und Kirche ist in der Bundesrepublik auf Kooperation angelegt. Die Kirchen sind vom Staat getrennt, dabei aber konstruktiv aufeinander bezogen. Der Staat ist weltanschaulich neutral, ermöglicht und fördert aber die Religionsausübung, während die Kirchen die Demokratie bejahen und sich als Institutionen im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstehen. Beide kooperieren in zahlreichen Bereichen. Neben einer Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche fragt die evangelische Ethik grundsätzlich nach den Funktionen und Formen staatlicher Herrschaft, sowie danach, wie staatliche Macht legitimiert wird.

    Basisinformationen

    Dass es Staaten gibt, ist für Menschen westlicher Kulturen im 21. Jahrhunderts eine kaum hinterfragbare Selbstverständlichkeit. Dass es Kirchen gibt, ist dagegen für eine wachsende Zahl von Menschen weit weniger selbstverständlich und dass die Kirchen darüber hinaus in vielfältigen Beziehungen zum Staat stehen, erscheint vielen nicht zuletzt deswegen oft als befremdlich. Ist mit der Trennung von Staat und Kirche und der weltanschaulichen Neutralität nicht alles gesagt, was es zum Themenfeld von Staat und Kirche zu sagen gibt? Dass damit keineswegs alles gesagt ist, hat verschiedene Gründe. Einer besteht darin, dass die Geschichte von Staat und Kirche so eng miteinander verwoben ist, dass sowohl der moderne Staat und als auch die gegenwärtige Gestalt der Kirche kaum ohne das jeweilige Gegenüber zu verstehen sind. Die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche war lange Zeit das Feld, an dem sich die Zuordnung von Christentum und Welt insgesamt orientierte. Zusammen und im Austausch mit anderen Disziplinen fragt die evangelische Ethik traditionell danach, welche Funktion und welche Ziele ein Staat erfüllt, wie sie verschiedene Formen politischer Ordnung und ihre Legitimation beurteilt, und wie das Verhältnis der Kirche zum Staat zu bestimmen ist.

    Wie man das Verhältnis von Staat und Kirche bestimmt, hängt davon ab, was man unter Staat und Kirche versteht (siehe Grundbegriffe: Nation und Staat). Zur ersten Orientierung mögen folgende Definitionen genügen: Der Staat ist ein soziales Gebilde, das innerhalb eines bestimmbaren Gebiets und mit Wirkung für eine bestimmbare Menschengruppe erfolgreich die Fähigkeit zur Durchsetzung legitimer physischer Gewalt für sich beanspruchen kann (Jellinek 1914: 394–434, Weber 1972: Kap. 1, §17). Dieser Staatsbegriff lässt sich nicht problemlos auf vormoderne Gesellschaften übertragen, sondern bezeichnet eine spezifische Organisationsform politischer Herrschaft, deren Anfänge auf die frühe Neuzeit zurückgehen und sich bis zum 19. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt hat. Auch der Kirchenbegriff ist hoch variabel. Im Folgenden ist es ausreichend, mit der Kirche die Organisationsformen des Christentums zu verstehen, die je nach Epoche und kultureller Umwelt unterschiedlich ausgestaltet sind. In der Regel sind im Folgenden mit Staat und Kirche der demokratische Staat der Bundesrepublik Deutschland und die Evangelischen Kirche in Deutschland samt ihren Gliedkirchen, den Landeskirchen, gemeint.

    Es gibt eine Reihe an einschlägigen Modellen zur Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat. Die klassischen Modelle im deutschen Protestantismus lassen sich auf die Reformatoren, insbesondere auf Martin Luther (1483–1546) (Luther 2016: 225–253), zurückführen. Es handelt sich dabei um Umformungen bereits vorhandener Gesellschaftsdeutungen, darunter vor allem der mittelalterlichen Drei-Stände-Lehre und der bis in die Antike zurückreichenden Naturrechtslehre (Tanner 1993: 120–164). Am einflussreichsten war jedoch Luthers Lehre von den zwei Reichen oder Herrschaftsweisen ("Regimenten") Gottes. Gottes Herrschaft über die Welt ist demzufolge so zu denken, dass zwischen dem geistlichen und weltlichen "Regiment" zu unterscheiden ist. Während das geistliche Regiment auf das freie Handeln aus Glauben zielt, bei dem sich Gott mittels des Heiligen Geistes im Gewissen der Christenmenschen Geltung verschafft, dient das weltliche Regiment dem Erhalt der physischen Existenz und des (Rechts-)Friedens innerhalb der Gesellschaft – notfalls unter Ausübung von Zwang und Gewalt. Luther konnte hierfür auf ältere Unterscheidungsmotive der christlichen Tradition zurückgreifen, darunter etwa Augustins Unterscheidung von civitas Dei, civitas terrena und die mittelalterliche Zwei-Schwerter-Theorie. Auch wenn Luthers eigene Terminologie viele Fragen offenlässt, sind unterschiedliche Adaptionen der Zwei-Reiche-Lehre bis heute wirksam. Der Grund dafür ist nicht zuletzt, dass sie als Vorläufermodell für eine Sphärentrennung von Politik und Religion bzw. von Moral und Politik gelesen werden kann (siehe auch unten 3.b. und c.).

    Mit Blick auf die gegenwärtige Situation in der Bundesrepublik sind solche Differenzierungsmodelle in das Gefüge des demokratischen Verfassungsstaates einzuzeichnen. Das bestimmende Moment ist hierbei die Anerkennung der Demokratie durch die Kirchen, die sich ihrem gewandelten Selbstverständnis entsprechend nicht in einer bloßen Bejahung erschöpft. Die Evangelische Kirche in Deutschland erkennt den Staat der Bundesrepublik nicht nur an, sondern beansprucht, die Demokratie mit zu fördern und zu gestalten. Spätestens seit der Veröffentlichung der Denkschrift "Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe" (1985) haben sich zunächst die westlichen Gliedkirchen der EKD, später die Landeskirchen der ehemaligen DDR ausdrücklich zum Staat des Grundgesetzes bekannt. Einigen gehen die Loyalitätsbekundungen mittlerweile so weit, dass sie vor einer "Überidentifikation" der Kirche mit dem Grundgesetz warnen (Waldhoff 2014: 244). Staat und Kirche sehen sich theologisch und politisch als Kooperationspartner an, die sich im Koordinatensystem des Grundgesetzes bewegen.

    Für die die Zuordnung von Staat und Kirche sind jedoch nicht nur theologische und rechtliche Erwägungen von Bedeutung, sondern auch das soziokulturelle Bedingungsfeld. Gegenwärtige Schlaglichter sind hierbei die Schrumpfung kirchlicher Organisationen, die generell abnehmende Bindekraft von Institutionen, verstärkte religiöse Indifferenz und weltanschauliche Pluralität. Sowohl der rechtliche Rahmen des Staat-Kirche-Verhältnisses als auch theologische Modelle der Zuordnung von Staat und Kirche haben ihre Wurzeln in den Anfängen der Bundesrepublik und damit in einer Gesellschaft, in der Kirchenzugehörigkeit und Bikonfessionalität der Normalfall waren. Spätestens seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts büßen die Großkirchen jedoch zusehends ihr Monopol auf den Vertretungsanspruch für organisierte Religiosität ein. Das dürfte nicht nur zur Folge haben, dass die Stimmen lauter werden, die die rechtliche und politische Rolle der Kirchen als einen Anachronismus sehen. Es dürfte vielmehr auch zur Folge haben, dass die Kirchen selbst die Deutung ihrer Rolle im weltanschaulich-pluralen Staat kritisch-konstruktiv weiterentwickeln, um den gewandelten Bedingungen Rechnung zu tragen.

    a. Rechtlicher Rahmen

    Das Recht ist ein entscheidender Bedingungsfaktor für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Im internationalen Vergleich unterscheidet man klassischerweise zwischen drei Modellen: dem Staats- bzw. Volkskirchenmodell (z.B. Dänemark, Finnland); dem Trennungsmodell (z.B. Niederlande, Frankreich, USA) und dem Kooperationsmodell (z.B. die Bundesrepublik, Belgien, Italien). Konnte man in der Bundesrepublik noch bis in die 1950er Jahre behaupten, dass sich Staat und Kirchen als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen (sog. Koordinationslehre), so ist heute unbestritten, dass das Grundgesetz den entscheidenden Rahmen vorgibt, dem die Kirchen unterzuordnen sind (zum Ganzen Munsonius 2016, Dreier 2018). Einem Trend zur Europäisierung zum Trotz sind das Grundgesetz, die Länderverfassungen und Staatskirchenverträge nach wie vor die wichtigsten Rechtsquellen des Religionsverfassungsrechts in der Bundesrepublik. Die im Grundgesetz verankerte, früher oft als "hinkende Trennung" (Ulrich Stutz 1926, zit. nach Dreier 2019: 341) bezeichnete Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche geht in weiten Teilen auf die Weimarer Reichsverfassung zurück, deren sog. Kirchenartikel das Grundgesetz übernommen ("inkorporiert") hat (Art. 140 GG, 136–139, 141 WRV). Den Kern bildet die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG (siehe Freiheit).

    Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt das Verhältnis von Staat und Kirche im Wesentlichen von drei Säulen her: der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, dem Trennungsgebot zwischen Staat und Religionsgemeinschaften und dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Angesichts der gewandelten religionskulturellen Situation gibt es Anfragen an das Religionsverfassungsrecht. Während die einen betonen, dass die geltenden Regelungen weiterhin Rechtssicherheit und Freiheitlichkeit für alle Religionsgemeinschaften sicherstellen (Heinig 2014), wendet die Gegenseite ein, dass angesichts der gewandelten Rolle und Bedeutung der Kirchen eine klare Neujustierung des geltenden Rechts notwendig ist (Czermak 2019). Jedenfalls wird mehr und mehr deutlich, dass religiöse Indifferenz das Koordinatenfeld der gegenwärtigen rechtlichen Regelungen wohl stärker berührt als die ebenfalls größer gewordene religiöse Pluralität. Während die derzeitigen Rechtsinstrumente trotz einiger Kritik in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, dass sie eine beachtliche Flexibilität zur Integration unterschiedlicher Religionsgemeinschaften bereitstellen, besteht die Gefahr, dass Religionslosigkeit die Legitimation des Religionsrechts aushöhlt, da Intention und Grundsätze einer kooperativen, tendenziell religionsfreundlichen Rechtsordnung deren (Selbst-)Verständlichkeit in Frage stellen (Korioth 2019).
     

    b. Christentumsgeschichtliche Modelle der Zuordnung von christlicher Gemeinschaft und politischer Herrschaft

    Theologisch-religiöse Verhältnisbestimmungen zur politischen Herrschaft lassen sich vereinfachend anhand von fünf Grundmotiven darstellen: Gleichgültigkeit, Anerkennung, Konflikt, Verschmelzung und Kooperation (diese Typologie lehnt sich grob an Niebuhr 1996 an, die wiederum von Troeltsch 1912 inspiriert sein dürfte).

    Christliche Gemeinschaften können politischer Herrschaft gleichgültig gegenüberstehen. Das galt etwa für die Selbstverortung frühchristlicher Gemeinden im römischen Reich oder für einige radikale Gruppierungen der Reformationszeit. Das Motiv lässt sich verschiedenartig erklären und begründen. Ein erster Grund besteht in der sozialen Zusammensetzung. Da der frühen Jesusbewegung keine und den ersten Gemeinden zunächst nur wenige Menschen angehörten, die politische Ämter bekleideten, gab es kaum Bedarf, über die Gestaltung der innergemeindlichen Angelegenheiten hinauszublicken. Hinzu kamen jedoch auch theologische Gründe. Einer der folgenreichsten dürfte die eschatologische Naherwartung sein. Wenn Gott die irdischen Zusammenhänge in naher Zukunft radikal umwälzt, erscheint die Gestaltung gegenwärtiger Institutionen zweitrangig. Gleichgültigkeit gegenüber politischer Herrschaft ließ sich auch mit der unmittelbaren Gegenwart der Gottesherrschaft rechtfertigen. Wenn das Reich Gottes oder Christi "nicht von dieser Welt" (Joh 18,36) ist, und Gott schon gegenwärtig selbst herrscht, ist jede irdisch-politische Herrschaft nur sekundär. Auch als der Gedanke einer unmittelbar wirksamen Herrschaft Gottes in der Reflexion über den Staat in den Hintergrund trat, konnte das Christentum Elemente einer solchen Gleichgültigkeit beibehalten. Das zeigt sich daran, dass christliche Gemeinschaften in jeder Form politischer Herrschaft bestanden und sich hiermit arrangieren konnten.

    Mit Anerkennung ist eine Verhältnisbestimmung gemeint, die der politischen Herrschaft eine Legitimation zuspricht und von den Gemeindemitgliedern erhöhte Loyalitätsanforderungen erwartet (siehe Formen politischer Ordnung und ihre Legitimation). Eine solche Anerkennung politischer Herrschaft seitens christlicher Gemeinschaften zieht sich durch die meisten Selbstverortungsbemühungen der christlichen Ideengeschichte. Lange Zeit beriefen sich Theologie und Kirche hierfür auf Aussagen des Apostels Paulus: Da politische Herrschaft von Gott eingesetzt ist, ist dieser Folge zu leisten (Röm 13,1). Die Loyalität gegenüber Gott und gegenüber der politischen Herrschaft mögen sich zwar qualitativ voneinander unterscheiden – "Gehorsam" im engeren Sinne gebührt alleine Gott, im Hinblick auf die politische Herrschaft ist "Unterordnung" ausreichend.  Im Ergebnis aber impliziert hier die Anerkennung der Herrschaft Gottes die Anerkennung der politischen Herrschaft (ähnlich 1. Petr. 2, 17: "Fürchtet Gott, ehrt den König!"). Lange Zeit war das Modell der Anerkennung eng mit dem Selbstverständnis vormoderner Gesellschaften verbunden, wonach das Wohl der Gesellschaft nicht ohne göttlich-metaphysische Lenkung denkbar ist (anschaulich beschrieben in Taylor 2009, 79–100, 730–743). Viele Aussagen der reformatorischen Theologie lassen sich einem solchen Anerkennungsmodell zuordnen. Seit der Aufklärung und der Moderne beziehen sich christliche Theorien vor allem auf vertragstheoretische und – seit dem 20. Jahrhundert – menschenrechtliche Modelle, um die Anerkennung politischer Herrschaft zu formulieren (Siep/Gutmann/Jakl/Städtler 2012). Widerstand ist für das Motiv der Anerkennung prinzipiell problematisch, etwa weil Widerstand gegen die jeweiligen Machtinhaber einem Widerstand gegen Gottes Herrschaft gleichkommt (Paulus, Luther) oder weil Widerstand die demokratische Legitimation von Verfahren zur kollektiven Entscheidungsfindung in Frage stellt (vgl. Rendtorff 1991).

    Christliche Gemeinschaften können sich und ihre Umwelt jedoch auch so interpretieren, dass sie ihr Verhältnis zur politischen Herrschaft als Konflikt beschreiben. Auch dahinter stand lange Zeit die Auffassung, dass Gott der eigentliche Herrscher der natürlichen wie der sozialen Welt ist. Klassische Belegstelle hierfür ist Apg 25, 29b: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." Aus der christlichen Perspektive ging und geht es hierbei meist um Handlungen oder Loyalitätsbekundungen, die es aus ihrer Sicht unmöglich machen, den Ansprüchen Gottes Folge zu leisten. Beispiele waren etwa die Forderung, dem gottgleichen Kaiser des römischen Reiches Opfer zu bringen oder die Forderung, beim Eintritt in den Soldatendienst einen paganen Eid zu leisten. Dieses Motiv ist insbesondere beim Kirchenvater Tertullian (ca. 150–220) ausgeprägt. Auch hier gilt, dass sich die theologischen Deutungsfiguren und historischen Konstellationen stark voneinander unterscheiden können. So konnte die Gleichgültigkeit radikaler Gruppen in der Reformationszeit gegenüber der Obrigkeit in Konflikt umschlagen, wenn die politischen Machthaber die Verweigerung bestimmter Handlungen als gemeinwohlzersetzend ansahen. Bis in die unmittelbare Gegenwart hinein stehen religiös motivierte Fälle zivilen Ungehorsams in der Tradition dieses Modells.

    Ein weiteres Motiv ist das der Verschmelzung, wonach sich kirchliche und staatliche Institutionen organisatorisch gegenseitig durchdringen oder gar ineinander aufgehen. Wenn kirchliche Institutionen an die Stelle der staatlichen treten, kann man von einer Theokratie sprechen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das sog. Täuferreich von Münster (1534/35). Umgekehrt kann die Kirche im Staat aufgehen (Theorien eines "christlichen Staates", z.B. Richard Rothe, Friedrich Julius Stahl). Das Verschmelzungsmotiv bedient sich vor allem solcher Modelle, bei denen politische Herrschaft und religiöser Machtanspruch als gleichursprünglich gelten. Bei der biblischen Begründung für solche Verschmelzungen spielt das Alte Testament mit dem judäisch-israelitischen Königtum eine größere Rolle als das Neue Testament. Zwischenstufen, die zwischen den beiden Polen Theokratie und christlicher Staat stehen sind etwa die christliche Einheitskultur im Hochmittelalter oder – zu einem geringeren Grad – das Staatskirchentum des 18. und 19. Jahrhunderts. Seit dem Ende des Staatskirchentums 1919 und insbesondere seit dem Bestehen der Bundesrepublik spielen Verschmelzungstendenzen keine oder nur eine geringe Rolle.

    Schließlich kann die Kirche sich und die ihr gegenüberstehende politische Herrschaft so interpretieren, dass gegenseitige Kooperation als die angemessene Verhältnisbestimmung gilt. Hier sind kirchliche und staatliche Institutionen klar voneinander unterschieden. Man erkennt jedoch an, dass Staat und Kirche in bestimmten Fragen gemeinsame Ziele haben, die man auf dem Wege der Mitarbeit zusammen verfolgt und die wiederum auch institutionelle Zusammenarbeit zur Konsequenz haben kann. Kooperation kann in diesem Sinne auch bedeuten, dass zwischen den Institutionen der politischen Herrschaft und der kirchlichen Organisation partnerschaftliche Kontakte bestehen können. Die gemeinsamen Ziele bestimmen sich nach den jeweils vorherrschenden normativen Grundannahmen. Seit dem Zweiten Weltkrieg, spätestens jedoch seit den 1970er Jahren, lässt sich für die Bundesrepublik sagen, dass die Menschenwürde und die Gewährleistung grundlegender Freiheits- und Gleichheitsrechte ein solches gemeinsames Ziel darstellt. Die Kirche versteht sich hier als Partnerin in der Beförderung einer freiheitlichen Demokratie. Hier wird das harmonisch-konstruktive Miteinander stärker betont als das kritisch-korrektive Gegeneinander.

    Die Aufgabe der theologisch-ethischen Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche besteht darin, diese Motive für den jeweiligen rechtlichen, sozialen und kulturellen Kontext zu interpretieren, zu kombinieren und zu gewichten.
     

    c. Wechselverhältnisse

    Kirche und Staat stehen sich selten unverbunden gegenüber. Vielmehr sind wechselseitige Einflüsse der Normalfall (klassisch Troeltsch 1912: 9–15).

    (1) Das biblische Gottesbild ist in weiten Teilen von antiken Herrschaftsvorstellungen geprägt. Gott herrscht über den bekannten Kosmos und vereint gesetzgebende, rechtssprechende und familiär-patriarchalische Funktionen in sich. Diese Übertragung immanenter Vorstellungen von Herrschaft auf Gott legitimierte nicht nur irdische Herrschaft (2. Sam 7; Jes 45), sondern diente auch ihrer kritischen Infragestellung (2. Sam 12) (vgl. dazu die Diskussion um die Achsenzeitthese von Karl Jaspers, siehe Assmann 2018 und Joas 2017: 304–316). Das Schema der Übertragung von Vorstellungen von (legitimer) Herrschaft auf das Gottesbild und der Rückwirkung dieses Gottesbilds auf die Einschätzung irdischer Herrschaft prägte die christliche Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche über Jahrhunderte. Die Reformationszeit setzte diese Tradition fort. Demzufolge ist Gott wie ein gütiger, aber gerechter Feudalherrscher, dessen Entscheidungen einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen auf der Erde haben. Er herrscht einerseits mit Wort und Sakrament im Gewissen der Gläubigen, andererseits mithilfe des Zwangs durch politische Herrscher, Fürsten, Könige etc. als seine Instrumente (Zwei-Reiche- bzw. Zwei-Regimente-Lehre).

    Die Konfessionskriege des 17. Jahrhunderts haben zum Plausibilitätsverlust dieser Vorstellungen beigetragen. An deren Stelle traten deistische Gottesvorstellungen, in denen Gott zwar weiterhin als Legitimationsgrund der politischen Herrschaftsmacht fungiert, ohne dabei aber aktiv in die Geschicke der Staaten einzugreifen. Die Vertragstheorien von Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau sind Zwischenschritte auf der Entwicklung weg von einem interventionistischen Gottesverständnis mit einer betont starken Vorsehungslehre hin zu einem weitgehenden Verblassen des Gedankens, dass Gott in, mit und durch politische Herrschaft direkt in das irdische Geschehen eingreift. Dennoch ist die Metaphorik der Herrschaft Gottes in der Semantik der beiden "Reiche" oder "Regimente" bis weit in die Moderne wirksam geblieben. Noch während der NS-Zeit haben sich sowohl Widerständler als auch NS-Theologen auf Gottes Herrschaft berufen, im einen Fall als Rechtfertigung der Herrschaft Adolf Hitlers und der NSDAP (Theologie der Schöpfungsordnungen), im anderen als Gegen- und Abwehrmodell von staatlichen Übergriffen (Königsherrschaft Christi). Ausdruck dieser herrschaftskritischen Pointe waren die Thesen der Barmer Theologischen Erklärung (1934), wonach Jesus Christus "Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben" ist (These 2).

    Die Katastrophen und Menschrechtsverletzungen des 20. Jahrhunderts haben zu einem Plausibilitätsverlust des herrschaftlichen Metaphernfelds für die Ethik beigetragen.  Zwar haben sich Reste der Vorstellung einer göttlichen Einsetzung des Staates bis in die 1950er Jahre gehalten (der Staat als Mandat oder als Notordnung, Bsp.: Helmut Thielicke). Doch schon in der ersten Phase der Bundesrepublik zeigte sich, dass eine göttliche Herrschaftsmetaphorik keine sinnvolle Orientierungsleistung mehr erbrachte. Sowohl die Rede von zwei Reichen als auch die Rede von der Königsherrschaft Christi haben de facto ihren Bezugspunkt verloren. Die grundgesetzlich verankerte demokratische Herrschaft beruft sich für ihre Legitimation nicht nur nicht auf Gott. Ihr funktionales Verständnis politischer Herrschaft legt es auch nicht nahe, demokratische Herrschaftsvorstellungen auf Gott zu übertragen, um diese dann in kritisch-konstruktiver Absicht auf irdische Herrschaftsausübung anzuwenden. Gleiches gilt für Analogien zwischen christlicher und politischer Gemeinschaft. Versuche zu einer entsprechenden Umdeutung finden sich im Umfeld der Befreiungstheologie und der feministischen Theologie, die auch auf die Probleme einer Vorstellung von Gott als patriarchalisch-monarchischem Herrscher hingewiesen haben. Als persönlich-individuelle Glaubensaussage mag die Rede von Gott als dem Herrn, väterlichen König oder Richter ihre Berechtigung behalten. Für die Selbstverortung der Kirche im Gegenüber zum demokratischen Staat hat eine solche Rede keine ersichtlichen Konsequenzen mehr. Stattdessen bezieht sich die Kirche zur Anerkennung der Legitimität demokratischer Herrschaft auf eine schöpfungs- oder rechtfertigungstheologische Anthropologie, die Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit miteinander verkoppelt. Der Staat ist aus der Perspektive der Kirche gegenwärtig vor allem der Garant von Menschen- und Grundrechten. Dieses Verhältnis wird besonders deutlich in den gegenwärtigen Selbstverortungen, die sich vor allem über den Begriff der Öffentlichkeit – und damit nur indirekt – auf den Staat beziehen. Die Kirche, die sich derzeit (noch) weitgehend als Volkskirche versteht, erfüllt ihre Funktion als Teil der Zivilgesellschaft und legt ihre Aufgabe in den Programmen von "öffentlicher Theologie" (Bedford-Strohm 1999) oder "öffentlichem Protestantismus" aus (Anselm/ Albrecht 2017). Die Zwei-Reiche-Lehre ist zwar dem Begriff nach in einer verantwortungsethischen Umformung lebendig geblieben (Körtner 2017, siehe Verantwortung). Sie bezieht ihre Plausibilität jedoch nicht mehr aus der theologischen Herrschaftssemantik, die sie in der Reformationszeit hatte, sondern aus der Differenzierungslogik, die sie zum Ausdruck bringen will. Sie ist eine Chiffre zur Unterscheidung von Recht, Religion und Moral sowie zur Unterscheidung unterschiedlicher Verpflichtungslogiken auf der Ebene des Individuums und überindividueller Kollektive.

    (2) Neben der wechselseitigen Beeinflussung von Theologie im engeren Sinne und der Beurteilung von Herrschaft gab und gibt es bedeutende wechselseitige Beeinflussungen der Organisationsvorstellungen von Staat und Kirche. Beispiele sind die Übernahme von Organisationsformen des römischen Reiches durch die Kirche der Spätantike, die Prägung frühneuzeitlicher Feudalreiche durch kirchliche Strukturen sowie die Übertragung der Vorstellung einer egalitären Brüdergemeinde von Geschwistern auf die Gestaltung der ersten Verfassungen in den nordamerikanischen Kolonien. Blickt man auf die Verhältnisse in Deutschland seit 1945, fallen vor allem folgende Wechselwirkungen ins Auge, die in der Beeinflussung kirchlicher Strukturen durch staatliche Organisationsformen bestehen: die Ausgestaltung der EKD und ihrer Landeskirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts mit der dazu gehörigen Rechtsform des öffentlichen Rechts, die arbeitsrechtliche Stellung der Pfarrerschaft, die dem Beamtentum nachgebildet ist und die flächendeckend-territoriale Gliederung nach dem parochialen Prinzip.

    Ein besonderer Fall ist die Frage, inwieweit das Staatsorganisationsprinzip der Demokratie Wurzeln in kirchlichen Gedanken hat oder inwieweit umgekehrt Demokratie ein normativer Gedanke kirchlicher Selbstorganisation sein sollte. Sowohl das Priestertum aller Gläubigen als auch der Bundesgedanke sind theologische Ideen, die durchaus in komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen zu den Anfängen demokratischer Strukturbildung in den nordamerikanischen Kolonien stehen. Die historische Beurteilung dieser Verwandtschaftsverhältnisse ist im Einzelnen kompliziert und bis heute umstritten (klassisch Jellinek 1895, gegenwärtig Joas 2011). Unabhängig von der Frage, ob Demokratie christliche Ursprünge hat, ist im zeitgenössischen Protestantismus spätestens seit den 1960er Jahren eine Tendenz zu erkennen, demokratische Legitimationsmuster zur Beurteilung kirchlicher Entscheidungsprozesse in Anspruch zu nehmen. Demokratie erscheint so als ein Markenzeichen evangelischen Kirchenwesens. Richtig daran ist, dass es auffällige Parallelen gibt. So weist das presbyterial-synodale Prinzip Ähnlichkeiten mit dem auf, was man im staatlichen Bereich als Demokratie bezeichnet, z.B. regelmäßige Wahlen entscheidungsbefugter Gremien sowie die Verleihung von Ämtern auf Zeit. Gleichwohl gibt es auch gravierende Unterschiede. Parteien, wie sie für moderne Demokratien konstitutiv sind (Art. 21 GG), gibt es im kirchlichen Bereich nur vereinzelt und mit einer deutlich anderen Funktion (z.B. die "Gesprächskreise" auf der Württembergischen Landessynode). Während es im Staat eine möglichst bruchlose Kette demokratischer Legitimation gibt, die über das Parlament vermittelt ist, das seinerseits in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen zustande kommt (Art. 38 Abs. 1 GG), verhält es sich im kirchlichen Bereich anders. Kirchliche Gremien sind über indirekte Wahlverfahren legitimiert und setzen sich zu einem substantiellen Teil aus berufenen, nicht gewählten Mitgliedern zusammen (vgl. z.B. das Landessynodalwahlgesetz der Ev.-Luth. Kirche in Bayern oder Art. 134, 135 der Kirchenordnung der Ev. Kirche im Rheinland). Auch die Frage der Gewaltengliederung zwischen synodalen Gremien, geistlichen Leitungspositionen und Verwaltungsspitzen ist in den meisten Landeskirchen deutlich anders gelöst als im staatlichen Bereich (siehe Machtfragen: Souveränität, Gewaltenteilung, Interessenausgleich). Es gibt nicht zuletzt ein deutliches Auseinanderfallen des normativen Gebrauchs und der tatsächlichen Beteiligung an kirchlichen Wahlprozessen. Letztere verharrt in weiten Teilen im niedrigen einstelligen Bereich. Angesichts der Funktionsunterschiede und -gemeinsamkeiten von Kirche und Staat wäre künftig verstärkt danach zu fragen, wo und wie Demokratie als Teil kirchlicher Selbststrukturierung notwendig und sinnvoll ist.
     

    d. Gegenwärtige Kooperationsformen der Kirche mit dem Staat

    Seit dem Beginn der Bundesrepublik bildete sich das Bewusstsein heraus, dass es Formen bedarf, durch die der Protestantismus sein kooperatives, kritisch-konstruktives Verhältnis zum demokratischen Staat mit Leben füllt. In Anknüpfung und Widerspruch zu vorangegangenen Traditionen haben sich mehrere Kooperationsformen herausgebildet, die bis in die Gegenwart kirchliche Mitgestaltung im demokratischen Staat bestimmen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Appell, Forum, diplomatischer Lobbyismus, Aktivismus, seelsorgerliches Handeln, liturgisches Handeln, parteipolitische und parlamentarische Mitwirkung.

    Der Appell ist die Form, durch die die Kirchen vor allem mithilfe von Denkschriften gewissenschärfend, informierend und abwägend auf die politische Willensbildung einwirken möchten. Der Gedanke, dass die Kirche ein Forum darstellt, ist idealtypisch in der Institution der kirchlichen Akademien, aber auch auf dem Kirchentag, verwirklicht. Auch in anderen Kontexten tritt die Kirche als Forum auf, bei dem sie betont, dass die universale Ausrichtung des Evangeliums es gebietet, Menschen, darunter auch Politikerinnen und Politiker, verschiedener Parteizugehörigkeiten und Ansichten zusammenzubringen. Darüber hinaus unterhält die Kirche Institutionen, die u.a. für einen diplomatischen Lobbyismus, d.h. für das Eintreten kirchlich-institutioneller Belange, zuständig ist. Dazu gehören seit der frühen Bundesrepublik besonders das Büro des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik und der Europäischen Union sowie die landeskirchlichen Pendants bei den Landesregierungen. Diese Form der Einflussnahme auf staatliche Willensbildungsprozesse erscheint vielen als kritikwürdig. Gleichzeitig aber ist die Einrichtung dieser Büros und die Wahrnehmung dieser Kooperationsform Ausdruck einer demokratischen Lernerfahrung und Normalisierung. Daneben kennt die Kirche den Aktivismus als eine Kooperationsform, die womöglich auf den ersten Blick nicht als Kooperation erkennbar ist. Sie gibt sich demgemäß auch zumeist als dezidiert kritisch gegenüber konkreten staatlichen Maßnahmen. Dennoch handelt es sich in der Regel um Handlungen, die den Staat auf seine eigenen normativen Selbstverpflichtungen hinweisen, und nicht auf die Beseitigung des politischen Systems zielen ("kritische Solidarität", Huber 2009). Diese Handlungsformen gehen gegenwärtig auf kirchliche Protestbewegungen der 1970er und 1980er Jahre und der Bürgerrechtsbewegung in der DDR zurück. Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen ist eine weitere Kooperationsform der Kirche, die sie etwa im Rahmen der Militär- und Gefängnisseelsorge ausübt. Auch hier geht es um die Wahrnehmung des Anderen, ohne ihm oder ihr eine politische Meinung angedeihen lassen zu wollen. Ferner gibt es eine liturgische Kooperationsform, bei denen die Kirche in besonderen Fällen einen dezidiert vorpolitischen Rahmen für besondere Ereignisse wie etwa Terroranschläge oder Staatsakte bereitstellt. Schließlich ist die parteipolitische und parlamentarische Mitwirkung von Politikerinnen und Politikern zu nennen, die sich dezidiert als Kirchenmitglieder verstehen und in Parteigremien, Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen sowie in Stadträten politische Verantwortung ausüben.

    Durch alle genannten Kooperationsformen zieht sich ein Spannungsverhältnis, das mit unterschiedlichen Deutungen von den christlichen Konsequenzen des Evangeliums und der Rolle der Kirche zusammenhängt. Denn einige dieser Kooperationsformen neigen dazu, die Kirche als eine Organisation mit spezifischen politischen Anliegen zu sehen, die sich aus dem christlichen Glauben ergeben. Das Evangelium wird hier primär von seiner moralischen Eindeutigkeit her interpretiert. Daraus ergibt sich der Imperativ zu konkretem Handeln. Die Kirche erscheint hier vor allem als politischer Akteur. Einem anderen Kirchenverständnis zufolge ist die Kirche, wenn nicht ein unpolitisches, so doch ein möglichst über- oder vorpolitisches Forum. Betont wird hier die Universalität des Evangeliums, das keine spezifischen politischen Präferenzen vorgeben kann. Die Kirche ist hier vor allem eine Dialogplattform. Bei beiden handelt es sich um berechtigte Anliegen, die sich mit guten Gründen auf den christlichen Glauben berufen können. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht zuweilen miteinander in Konflikt geraten. Sichtbar wird dies etwa gegenwärtig an den Kontroversen um das kirchliche Engagement zur Unterstützung geflüchteter Menschen.

    Explizit ist das Thema im Bayerischen Lehrplan für die Sekundarstufe 2 im Gymnasium vorgesehen (9. Schuljahr, Lernbereich 4): "'In Verantwortung vor Gott' – das Verhältnis von Kirche und Staat". Das Thema strahlt jedoch auf weitere Lernbereiche aus, z.B. "Gerechtigkeit und Frieden in der einen Welt" (Klasse 10, Lernbereich 5), "Nächstenliebe und diakonisches Handeln der Kirche" (Klasse 7, Lernbereich 5) oder "Mittendrin!? – Christsein in der Gesellschaft" (Klasse 12, Lernbereich 1).

    Viele Schülerinnen und Schüler sind politisch interessiert oder engagiert. Es dürfte daher leichtfallen, das Interesse für Fragen politischen Engagements zu wecken. Der Zusammenhang mit der Kirche wird jedoch vermutlich nicht auf der Hand liegen. Um bei der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anzusetzen, könnte man anhand von Fallbeispielen arbeiten, etwa einer lokalen Flüchtlingsinitiative einer Kirchengemeinde. Ein weiterer Zugang zum Verhältnis von Staat und Kirche lässt sich über die Thematisierung des Religionsunterrichts selbst herstellen, indem die Schülerinnen und Schüler die Ziele und Vorzüge verschiedener Modelle des Religionsunterrichts innerhalb wie außerhalb von Deutschland diskutieren lernen. Denkbar ist auch die exemplarische Behandlung von prägenden historischen Persönlichkeiten, die das Verhältnis von Staat und Kirche anschaulich machen, etwa Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King Jr. Bei Letzteren besteht freilich eine entscheidende Herausforderung darin, dass der zeitliche Abstand zu solchen Personen droht, die gegenwärtige Relevanz des Themas für die Schülerinnen und Schüler zu verschleiern. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Persönlichkeiten wie Bonhoeffer und die Behandlung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein schiefes Verhältnis von kirchlichem Engagement vermitteln. Denn so gerät leicht aus dem Blick, wie radikal anders der politische, gesellschaftliche und religiöse Kontext gegenwärtig aussieht, dass Widerstand gegen eine autoritäre Diktatur notwendig eine andere Gestalt des kirchlichen Verhältnisses zum Staat ist als christliches Handeln im demokratischen Staat. Diese Gründe sprechen, wenn möglich und durchführbar, für eine Kooperation mit dem Politikunterricht. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, die Rechtsstellung der Kirchen im Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften zu erarbeiten und ggf. kritisch zu hinterfragen.
     

    a. Exemplarische Unterrichtsmaterialien

     

    b. Diskussionsanstöße

    • Wie demokratisch ist die Kirche, wie christlich ist die Demokratie?
    • Haben evangelische und römisch-katholische Kirche im Vergleich mit anderen Religionsgemeinschaften derzeit eine zu starke Stellung gegenüber dem Staat?
    • Sollten Staat und Religion strikt(er) getrennt werden?
    • Sollten sich Religionsgemeinschaften an Aufgaben des Staates beteiligen? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?
    • Sollte(n) sich die Kirche(n) stärker oder weniger stark in Politik "einmischen"?
    • Braucht der Staat die Kirche(n)?
    • Ist politisches Engagement der Kirchen so wie das Engagement anderer Organisationen auch?

     

    c. Materialien

    Verwendete Literatur

    Dreier, H.: Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018.
    Anselm, R. und Albrecht, C.: Öffentlicher Protestantismus. Zur aktuellen Debatte um gesellschaftliche Präsenz und politische Aufgabe des evangelischen Christentums (ThSt N.F. 4), Zürich 2017.
    Assmann, J.: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne, München 2018.
    Bedford-Strohm, H.: Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit. Sozialer Zusammenhalt in der modernen Gesellschaft. Ein theologischer Beitrag (ÖfTh 11), Gütersloh 1999.
    Czermak, G.: Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Deutschland und ihre juristische und gesellschaftliche Gefährdung. Anmerkungen zu neuralgischen Bereichen, in: Große Kracht, H.-J. und Schreiber, G. (Hg.): Wechselseitige Erwartungslosigkeit? Die Kirchen und der Staat des Grundgesetzes – gestern, heute, morgen, Berlin 2019, 209–236.
    Dreier, H.: Religion im Grundgesetz – Integrationsfaktor oder Konfliktherd?, in: Große Kracht, H.-J. und Schreiber, G. (Hg.): Wechselseitige Erwartungslosigkeit? Die Kirchen und der Staat des Grundgesetzes – gestern, heute, morgen, Berlin 2019, 337–390.
    Heinig, H.-M.: Ordnung der Freiheit – Das Staatskirchenrecht vor neuen Herausforderungen, in: ders.: Die Verfassung der Religion. Beiträge zum Religionsverfassungsrecht, Tübingen 2014, 3–21.
    Huber, W.: Christen in der Demokratie, in: APuZ 14 (2009), 6–8.
    Jellinek, G.: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte, Leipzig 1895.
    Jellinek, G.: Allgemeine Staatslehre, Berlin 31914.
    Joas, H.: Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Frankfurt a. M. 2011.
    Joas, H.: Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Frankfurt a. M. 2017.
    Korioth, S.: Das Religionsverfassungsrecht der Berliner Republik als Einweisung in die wechselseitige Indifferenz von Staat und Kirchen?, in: Große Kracht, H.-J., Schreiber, G. (Hg.): Wechselseitige Erwartungslosigkeit? Die Kirchen und der Staat des Grundgesetzes – gestern, heute, morgen, Berlin 2019, 237–256.
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    Weiterführende Literatur

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    Kalinna, G.: Die Entmythologisierung der Obrigkeit. Tendenzen der evangelischen Ethik des Politischen in der frühen Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre (RBRD 4), Tübingen 2019.

    Veröffentlicht am 26.06.2020 (Version 1.0).

    Zitierweise:

    Kalinna, G.: Art. "Staat und Kirche" (Version 1.0 vom 26.06.2020), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://ethik-evangelisch.de/lexikon/staat-und-kirche.